Dienstag, 30. August 2016

Ukraine - der wilde Osten

Tag: 101 bis 106
Hike: 125km
Fly: 76km
Flug von Gemba auf XContest


Angefangen hat die Geschichte streng gesehen gerad mal mit einem erzwungenen Ende meiner reinen Hike&Fly-Durchquerung von Europa. Denn zu meiner Überraschung verwehrten mir die Grenzbeamten den Übertritt von der Slowakei in die Ukraine zu Fuss. Hä, goht's no?? Ich hab kein Fahrzeug...Doch sie blieben stur und sagten mir, ich solle einen Bus nehmen oder könne ja auch einen der vielen wartenden Autofahrer fragen, ob er mich über die Grenzzone kutschiert. Die spinnen doch... aber so ging ich halt entlang der Autokolonne und fragte mich durch. Die Slowaken verbringen gerne mal ein Party-Wochenende in der Ukrainischen Grenzstadt Uschgorod, weil das Preisniveau deutlich tiefer ist. Zum Glück ist es Samstag und ein junges Pärchen offerierte mir die 500m Überfahrt gerne - tausend Dank!
Willkommen in der Schweiz äh Ukraine

Ich verpasste das Nachtleben freiwillig und nahm am Sonntagmorgen Kurs in Richtung Berge - oder besser gesagt Hügelland.
Mittagessen auf Burg Nevytsky - hatte wohl im 15. Jahrhundert besser vor Regen geschützt

Die Fahrweise der Ukrainer ist wohl nur wenig entspannter als in der Slowakei und Alternativen zu den Hauptstrassen sind auch hier Mangelware aber die Strassen, die ich entlang wanderte, waren wenigstens breit genug. Zudem hatten sie meist einen unbefestigten Streifen von etwa einem halben Meter, damit die Pferdefuhrwerke Platz mache konnten.
neben fussgängerfreundlicheren Strassen, gibt es auch einige nette Rastplätze
verkehrsberuhigende Massnahnen ala Ukraine
Ostblock Design

Abgesehen von wenigen Ausnahmen scheint man in den Transkarpaten Landwirtschaft wohl nur zur Selbstversorgung zu betreiben. Entsprechend klein sind die Felder und Gärten. Artenreichtum gibt's auf den vielen wilden Blumenwiesen aber des öftern nahm auch der Wald den ganzen Talboden ein. Somit wurde mir auch schnell bewusst, dass es wohl kaum Startplätze unterhalb der Waldgrenze (die liegt übrigens so um die 1400-1500m) geben dürfte - Bergbauern gibt es hier definitiv keine. Nun ja, das war nicht weiter tragisch, da die 3-Tages-Prognose eh keine weiten Flüge versprach. So plante ich meine Tagesetappen anhand der Übernachtungsmöglichkeiten (abgesehen von Touristenorten auch mangelware) auf meiner Route, die mich via Peretschyn und  Polyana nach Svalyava führte. Von da aus plante ich die direkte Route über die Berge in Richtung Pylypets zu wandern und hoffte natürlich auf Flugwetter. Mit etwas Glück würde ich so bereits vom Stoy (1681m) fliegen oder dann spätestens von Gemba einem Hotspot in den Transkarpaten, da der Berg mit einem alten Sessellift erschlossen ist. Der Weg zum Stoy führte mich in ein kleines Seitental, welches auf den letzten Kilometern wild und unbesiedelt wurde. Der Weg wurde zunehmend schlechter bis er fast nur noch aus ölverschmiertem schwarzen Matsch und tiefen Fahrrinnen bestand. Es begann leicht zu Regnen und ich revidierte meinen Entschluss auf dem Berg zu übernachten als ich zuhinterst im Tälchen die halbwegs brauchbare Schutzhütte erreichte. Es war bereits nach 19 Uhr und deshalb ziemlich sicher, dass ich hier eine ruhige Nacht verbringen würde, zumal von da aus nur noch eine sehr steile Piste den Berg hoch führte. Aber das stimmte nicht ganz - erst kamen 2 Endurofahrer den Berg runter und kurz vor der Dämmerung hörte ich schon von weitem das laute knattern eines aus den Sowjetzeiten stammenden Militärmotorrades, welches sich durch den Matsch kämpfte. Nach einem kurzen Kotzstopp und etwas speien und würgen nahm der Fahrer einen kräftigen Schluck aus einer Flasche (wohl eher kein Quellwasser), setzte sich wieder auf seinen Höllenstuhl und quälte ihn den steilen Berghang hoch. Das ganze schien ziemlich eingespielt und alltäglich - Ich hielt mich bedeckt und schaute schulterzuckend dem Geschehen zu. Je tiefer das Preis-/Lohnniveau desto höher der Alkoholkonsum.
nein, keine Schule sondern Dorfladen. Die Hälfte des Sortiments besteht jeweils aus Vodka & co.
Nachtlager an Hauptverkehrsachse :) Zum Glück musste das Dach dann doch keinen Dichtetest bestehen

Dann wurde es doch noch ruhig  - jedenfalls bis ca. 04:00 Uhr da kamen mit Leuten vollbeladene Militärlastwagen im 10min Takt. Immer das gleiche Spiel: die Laster hielten vor der Steigung an, prüften mit der Taschenlape irgendwas am Fahrzeug, starteten nach 2-3 Minuten wieder den Motor und quälten den Laster mit volldampf die Piste hoch. Nach 6 oder 7 Lastern gab ich das Weiterschlafen auf, packte und begann mit meinem Aufstieg zum Stoy. Mir war es ein Rätsel was die Leute da oben wollten. Offensichtlich musste die alte Militärbasis doch noch irgendwie in Betrieb sein auch wenn OsmAnd diese nur als Ruinen aufführte?!?
der frühe Vogel fängt den Wurm äh Heidelbeere - der Grund für die Nachtruhestörung: Erntezeit
vorwiegend Frauen durchkämten die riesiegen Heidelbeerhänge

Endlich kam ich über die Waldgrenze und die ganze Bergkette wurde zu einer riesigen Spielwiese - nur absaufen durfte man nicht oder nicht überall. Der Tag war bis mitte Nachmittag aber zu feucht für einen Streckenflug. So entschied ich mich nach ausgiebigem Spielen, Kiten und Thermikkurbeln die Nacht in Pylypets zu verbringen und den nächsten Tag Richtung Rumänien zu fliegen.

Die 600 Höhenmeter zum Startplatz waren schnell erklommen, die Basis war zwar eher tief aber es zierten viele Cumulus den Himmel. Zudem war genügend Rückenwind vorhanden, dass man wohl an den richtigen Flanken soarend parkieren konnte. So zisch ich früh in sportlichen Bedingungen über das meist waldige Hügelland ohne einen Höhenmeter zu verschenken.
Die Basis war nicht gerade berauschend

Plan A: weiterfliegen, Plan B: Top landen, Plan C: lieber nicht (SPOT-SOS oder runter klettern, mit der Säge meines Sackmessers einen Ausweg aus dem Wald frei machen, mit der Klinge Bärenkämpfe gewinnen, Ersatzschirm bestellen :D). Ich entschied mich für A

Ich hab mir die letzten Tage viele Gedanken gemacht, ob ich einfach über die Grenze fliegen soll. Doch ich entschied mich schliesslich nicht auf den Ausreisestempel im Pass zu verzichten, nicht zuletzt weil mir das Land so gut gefiel, dass ich mir eine erneute Einreise nicht verbauen wollte. Also steuerte ich Richtung Grenzübergang Solotvyno/Sighetu Marmatiei und lies die schönen Cumulis hinter mir.
Ukrainische Abfallentsorgung mit "System" - erst über den Zaun kippen :( und dann Glasflaschen wieder aussortieren :)
Die Ukrainer lieben es offensichtlich  Schlösschen zu bauen - solche Villen schiessen wie Pilze aus dem Boden

Unglaublich aber wahr, ich konnte die Grenze tatsächlich zu Fuss überqueren.
Rumänien ich komme!

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